Gebratene Flamingos und das grosse Fressen
Die besinnliche Zeit des Jahres liegt hinter uns und mit ihr lauter Feste und Feierlichkeiten. Tannenbäume wurden geschmückt, Truthähne gestopft, Kerzen entflammt, Gläser gefüllt und Raketen gezündet. Welche Rituale dem Fest auch immer zu Grunde liegen mögen: Man durchbricht gemeinsam die Monotonie des Alltags, nimmt das Fest wie es fällt und ergibt sich fröhlicher Ausgelassenheit. Dazwischen und währenddessen wird im Idealfall haufenweise gegessen und getrunken. Was heute so ist, war schon immer so. Jedenfalls was den Kern einer jeden Festlichkeit betrifft: Der gemeinsame Rausch.
Rückkehr in das Chaos
Ein Fest zu feiern ist eine ganz angenehme Sache. So gibt es ungeachtet feiner Unterschiede auch nur wenige Kulturen, die nicht immer schon genügend Gründe hatten, sich mehrmals jährlich zu Brot und Spiel zu treffen. Heiligsprechungen und Schulabschlüsse, Krönungen und Filmpremieren, Geburten und Beförderungen, Gedenkanlässe und Vernissagen, Staatsempfänge und Schützenfeste, Salons und Regentänze, Himmelfahrten und Ehrungen, Hochzeiten und mystische Riten. Hier und da stets ein feucht fröhliches Happening, an dem man den Alltag niederlegt und die Feier aufleben lässt. Freilich gestalten sich die Feierlichkeiten in ihrem Ausmass sehr unterschiedlich und der Rausch wird orts- und kulturabhängig auf sehr verschiedene Arten evoziert. Im Grundsatz aber bildet er für den Menschen die Grundmotivation von so manchem Anlass. Auch der für dieses Thema berühmte französische Soziologe Emile Durkheim sah das Wesen des Festes im Exzess und beschrieb diesen als Augenblick der Rückkehr in das Chaos einer Ursprungszeit in welcher die alltäglichen Grenzen zwischen Erlaubtem und Unerlaubtem aufgehoben seien.
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Bild 1: Thomas Couture, Die Römer der Verfallszeit, 1847, Musée d’Orsay, Paris
Die Evolution des Feierns
Im Gemälde «Die Römer der Verfallszeit» von Thomas Couture werden die Grenzen zwischen Erlaubtem und Unerlaubtem aufgehoben; und bis heute scheint die Lust am Fest tief in uns verankert zu sein. Das älteste Trinkspiel ist belegt in die Zeit um das 5. Jahrhundert v. Chr. und wurde im antiken Griechenland in der Regel nach dem Dessert zelebriert. Das Ziel beim sogenannten «Kottabos» bestand darin, in hohem Bogen einen Schluck Wein aus dem Trinkgefäss zu schleudern und so ein bestimmtes Ziel mit deutlich hörbaren Klatschen zu treffen. Die im Gefäss verbleibende Menge wurde eilig ausgetrunken. Ein Symposiarchos, der «Vorsitzende der Trinker», stand dem Gelage vor. Wurden zu wenig Becher getrunken, erteilte dieser Strafen, die in der Regel darin bestanden, den Becher in einem Zug zu leeren. Schliesslich wurde in der Antike allgemein angenommen, dass der Rausch einen Kontakt zu einer höheren Macht ermöglicht. Ein erwünschter Zugang zu Übernatürlichem, ausgelöst durch einen Rausc,h ist auch in der ethnologischen Forschung belegt, so dauerten Feste der Yoruba-Gesellschaft oft tagelang und zuweilen bis zur lebensbedrohlichen Erschöpfung. Was nach den letzten Szenen des grossen Filmklassikers «La Grande Bouffe» klingt, mag eine Art Ur-Lust sein, dem Geist im Rahmen eines Fests freien Lauf zu lassen.
Die Feste dauerten tagelang und zuweilen bis zur lebens­bedrohlichen Erschöpfung.
Bild 2: Trinkgefäss (Kylix) mit Abbildung eines jungen Mannes während des Trinkspiels Kottabos, Griechische Antike, 450 – 440 v. Chr. (Copyright: Museum of Fine Arts, Boston)
Das Fest als Statussymbol
Das Fest ist Ort der sozialen Zusammenkunft, wo Spontanes und Emotionales erwünscht sind. Sorgen und Kummer des Alltags werden beiseitegelegt, Konventionen werden gemeinsam durchbrochen und belastende Erfahrungen vergessen. Versammelt um einen Tisch geht man auf in der unmittelbaren Gegenwart und zelebriert ausschweifend. Eine Festlichkeit hatte schliesslich auch immer den Zweck Status und Reichtum vorzuführen. Die Mittel für die Zurschaustellung waren dabei während mancher Epochen nicht nur dekadent sondern auch Kurios. Wohlhabende Römer beispielweise, liessen Ihre Gäste vor dem Bankett durch Ihren Privatsekretär durchs Haus führen. Dieser steuerte dabei nicht nur geschickt vorbei an den bedeutenden Kunstwerken und originellen Architekturelementen sondern wies auch sehr freimütig auf den üppig gefüllten Geldschrank hin. Gereicht wurden dann meist Austern, Wein und – gebratene Flamingos. Elegantes Federvieh war auch später gern gesehen an den Tafeln höfischer Gesellschaftern. Louis XIV liess im Zuge seines Dekorationswahns Schwäne braten und reichlich zu Tisch bringen. Dies obschon diese völlig ungeniessbar waren. Der tranige Geschmack hat die Symbolwirkung des edlen Vogels jedoch kaum geschmälert.
Bild 3: David Teniers The Younger, Küchen Interieur, 1644 (Copyright: The Mauritshuis Collection)
Die Sprache des Essens
Es musste aber nicht immer ein gebratener Schwan sein, um mit Lebensmittel kommunizieren zu wollen. Durch Geschichte, Herkunft, Zubereitungsaufwand, Preis und Aussehen wurde schon mach einfaches Obst mit Bedeutungen aufgeladen, an die wir heute kaum mehr denken. So stand, geprägt durch Pflanzenschutz betreffende Rechtswidrigkeiten im Garten Eden, der Apfel stets als Symbol für den Sündenfall und die Versuchung. Der Krebs stand mit seiner eher speziellen Gangart stellvertretend für die Verrücktheit der Welt, während leere Pokale und grosse Trinkgefässe die Leere und das ausgelebte Leben wiederspiegeln sollten. Und dann gibt es da noch den bis heute bekannten Weihnachtsapfel. Schon früh war bei den heute als Orangen bekannten Früchten von sagenumwobenen «Goldäpfeln» die Rede. Die christliche Phantasie hat dem Verzehr einer Orange ewiges Leben nachgesagt und somit verführerische Absichten vorgeworfen.
Bild 4: Abraham van Beyeren, Banquet Still Life, after 1655. Oil on canvas, Royal Picture Gallery Mauritshuis
Nach dem Fest
Der soziale Akt des gemeinsamen Mahls ist untrennbar mit der kulturellen Identität verwurzelt. Daniel Spoerri zeigt in seinen «Fallenbildern» nicht etwa die sinnliche Üppigkeit angerichteter und zum Verzehr bereitgestellter Speisen, sondern vielmehr die Situation nach einem gemeinsamen Mahl. Seine bekannten Fallenbilder zeigen Mahlzeiten als vergängliche Stillleben, arrangiert aus Essensresten, schmutzigem Besteck, ungewaschenen Gläsern und vollen Aschenbechern. Die fixierten, wie eingefroren wirkenden Ergebnisse sind nicht nur Momentaufnahmen sozialer Interaktion, sondern auch stumme Zeugen eines ewigen Kreislaufes, sie «…spiegeln einen Ausschnitt aus dem Zyklus des Lebens wider. Was passiert denn unmittelbar nach dem Essen?». Die Freude des Rausches vor Augen, kann man es nur ahnen. In diesem Sinne freuen wir uns auf die ganz besinnlichen Tage des Jahres. Und auf den Rausch.
Daniel Spoerri: Sevilla-Serie Nr. 29 — Schweizer Tessinergeschirr. Assemblage 1991. 80x186x40 cm (Foto: MPEFM)
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