17. März 2019

Pablo Picasso und seine Begeisterung für afrikanische Kunst

«Der berühmteste Kün­stler des 20. Jahrhun­derts» – bis zum 26. Mai 2019 find­et in der Fon­da­tion Beyel­er die Ausstel­lung «Der junge Picas­so – blaue und rosa Peri­ode statt». Die Schau zeigt, wie sich der Kün­stler auf die Suche nach immer neuen Bildthe­men und Aus­drucks­for­men beg­ibt, welche um 1907 im Kubis­mus gipfeln. In seinen Kunst­werken hat Picas­so die Wirk­lichkeit nie imi­tiert, son­dern «immer so gezeigt, wie sie ist», beschreibt der Sohn des Kün­stlers – Claude Picas­so – die kün­st­lerische Hal­tung Picas­sos. Dass der Kün­stler früh erken­nt, wie vielfältig die «Wirk­lichkeit» ist, zeigt sich in sein­er zur dama­li­gen Zeit ein­ma­li­gen Begeis­terungs­fähigkeit für afrikanis­che- und ozeanis­che Kunst­werke. In dieser Geschichte stellen wir vier afrikanis­che Kunst­werke vor.

Als die kün­st­lerische Avant­garde des frühen 20. Jahrhun­derts an der Rev­o­lu­tion arbeit­et, kom­men die «exo­tis­chen» Kuriositäten aus den europäis­chen Völk­erkun­de­museen gele­gen: Oft­mals aus ehe­ma­li­gen Kolonien ger­aubte Skulp­turen aus Afri­ka wer­den von pro­gres­siv­en Kün­stlern, Händlern und Samm­lern als eigen­ständi­ge Kunst­werke anerkan­nt. Die Fig­uren helfen dabei, Ideen und Vorstel­lun­gen zur Anschau­ung zu brin­gen, welche nicht primär die Abbil­dung der Sicht­baren Welt zum Ziel haben und sind dabei Weg­bere­it­er zu der konzep­tionellen Kun­st der Mod­erne. Der Umgang mit den Kunst­werken ist dabei ganz unter­schiedlich. Picas­so erken­nt in den Plas­tiken magis­che Objek­te zur Befreiung von Gefahr und Angst, dabei ste­ht das kon­tem­pla­tive Poten­tial im Vorder­grund. Eher auf formeller als auf psy­chol­o­gis­ch­er Ebene von den Objek­ten beein­druckt ist Fer­nand Léger. Für das Bal­lett «La créa­tion du monde» (1923) greift er auf Abbil­dun­gen afrikanis­ch­er Plas­tiken zurück. Alber­to Gia­comet­ti, Con­stan­tin Bran­cusi und später Hen­ry Moore wiederum, bedi­enen sich unmit­tel­bar vom For­men­reper­to­rie. Gia­comet­tis berühmte «Löf­fel­frau» von 1926 geht sicher­lich auf die Getrei­deschaufeln der Elfen­beinküste zurück. Erfind­ungsre­ich­tum und Aus­drucksstärke der Skulp­turen kön­nen als verbindende Ele­mente genan­nt wer­den, wobei ein grund­sät­zlich­es Ver­ständ­nis der Prinzip­i­en afrikanis­ch­er Kun­st ein gross­es Wis­sen voraus­set­zt. Die aktuelle Diskus­sion zur Rück­gabe afrikanis­ch­er Werke in die Herkun­ft­slän­der ist wichtig und wird dabei helfen, die ver­schiede­nen, eigen­ständi­gen Strö­mungen bess­er zu ver­ste­hen und auch jen­seits der west­lichen Avant­garde zu lesen. Vic­tor Ehikhamenor, ein inter­na­tion­al erfol­gre­ich­er Kün­stler aus dem Togo, beschreibt die Bedeu­tung der Werke sehr tre­f­fend: «Es waren nicht ein­fach Kun­st­ge­gen­stände. Sie waren unsere Art der Geschichtss­chrei­bung. Sie erin­nern an wichtige Ereignisse, sie doku­men­tieren unser Leben, sie sind eine Art des Erzäh­lens. Und: Sie rufen deinen Namen. Man kann sie nicht ver­wech­seln.»

«Gbekre»-Affenfigur

«Gbekre»-Affenfigur

Elfen­beinküste, Baule

«Agere Ifa»-Topf

«Agere Ifa»-Topf

Nige­ria, Yoru­ba

Elfen­beinküste, Baule

Bei dieser aus­drucksstarken Fig­ur han­delt es sich um eine Skulp­tur des Akan-Volkes «Baule» (Elfen­beinküste). Mit etwa 2,2 Mil­lio­nen Anhängern und einem prozen­tualen Anteil von 23 Prozent stellen die «Baule» heute die grösste Volks­gruppe des Lan­des. Die vor­liegende Skulp­tur zeigt einen ste­hen­den Affen, in den Hän­den eine Opfer­schale hal­tend. Geschmückt ist das Stück mit Knoten­ket­ten und Tier­hörn­ern. Die Affen-Göt­tin «Simi­an Amuin» erhält durch die Bal­lung magis­ch­er Kräfte Macht, bes­timmte Aufträge zu erfüllen, als Richter bös­er See­len im Jen­seits, oder auch als Helfer und Beschützer der Leben­den, sowie als Agrar­got­theit bei Ern­ter­itualen. Der bekan­nte Experte Emil Stör­er beschreibt das Stück als «echte afrikanis­che Volk­skun­st für Museen und Samm­lun­gen bes­timmt».

«Ogbodo»-Helmmaske

«Ogbodo»-Helmmaske

Nige­ria, Ibo

Nige­ria, Yoru­ba

Im Süd­west­en Nige­rias lebt das west­afrikanis­che Volk «Yoru­ba», welch­es 21% der Gesamt­bevölkerung aus­macht. Die soge­nan­nten «Agere-Ifa»-Töpfe, zu welchen das hier ange­botene Objekt zählt, gehören zu den ein­drück­lich­sten Erzeug­nis­sen der «Yoruba»-Kultur. Beim vor­liegen­den Exem­plar han­delt es sich um eine alte, im Kult ver­wen­dete Arbeit, welche kun­stvoll stil­isierte Tier- und Men­schen­darstel­lun­gen zeigt (aus der Mytholo­gie). Wie bei den meis­ten afrikanis­chen Erzeug­nis­sen, sind die Masken und Gefässe der «Yoru­ba» Ver­mit­tler zwis­chen der kos­mis­chen Welt und dem Leben (in Afri­ka meis­tens «Mark­t­platz» genan­nt). Die Töpfe sollen dabei helfen, die Zukun­ft vorauszusagen. Dazu wer­den von einem Wahrsager («Iba») 16 «heilige» Palm­nüsse im Gefäss platziert, welche nach kräftigem Schüt­teln ein inter­pretier­bares Muster bilden. Diese Muster wer­den nach der Muster­bil­dung – ähn­lich wie Noten – in Vers­form gesun­gen. Der Schweiz­er Sur­re­al­ist Serge Brignoni (1903–2002), aus dessen Samm­lung die Skulp­tur stammt, gehört zu den bedeu­tend­sten Samm­lern afrikanis­ch­er- und ozeanis­chen Kun­st in der ersten Hälfte des 20. Jahrhun­derts.

Nige­ria, Ibo

Die gross­for­matige Helm­maske stammt aus dem Ibo-Sied­lungs­ge­bi­etes im Südosten von Nige­ria. Die «Ibo-Izzi», eine Unter-Gruppe der «Ibo» (oder auch Igbo), nen­nen den Masken-Typ «Ogbo­do Enyi» («Ele­fan­ten-Geist»). Beim vor­liegen­den Stück han­delt es sich um eine Auf­satz-Maske, welche laut dem Experten René David «von einem weib­lichen Mit­glied der Ibo im Kult ver­wen­det wurde». Die Maske wird hor­i­zon­tal auf dem Kopf des Masken­tänz­ers- oder der Masken­tänz­erin getra­gen. For­mal ist «Ogbo­do Enyi» eine Kom­posit-Maske aus Teilen ver­schieden­er Tiere: Die Stosszähne eines Ele­fan­ten weisen immer nach vorne, dann kommt das Maul eines Nilpfer­des, gefol­gt von Teilen des Warzen­schweins. Der nach vorne ragende Fort­satz auf der Stirn der Maske wird als «Rüs­sel des Ele­fan­ten» gedeutet. Die «Ogbo­do Enyi» gilt als gut­mütiges, hil­fs­bere­ites Wesen, als ein «Fre­und des Dor­fes», der die Men­schen beschützt. Auf ihrer Rück­seite trägt die Maske einen einzel­nen, geschnitzten Men­schenkopf. Wegen der ein­drück­lichen Grösse des Arbeit kann auf einen rang­ho­hen Träger geschlossen wer­den.

«Bambara» (Bamana)-Maske

«Bambara» (Bamana)-Maske

Mali, Bam­bara

Mali, Bam­bara

Die eth­nis­che Gruppe der «Bam­bara» zählt etwa 4 Mil­lio­nen Men­schen. Ange­siedelt am Mit­tleren Fluss Niger sowie an den angren­zen­den Gebi­eten Burk­i­na Fasos, hat die Volks­gruppe einen Anteil an der Gesamt­bevölkerung Malis von etwa 38%. Der hier ange­botene Masken-Typ gehörte zu Beginn des 20. Jahrhun­derts wegen sein­er reduzierten For­men­sprache zu den beliebtesten Inspi­ra­tionsquellen für avant­gardis­tis­che Kun­stschaf­fende. Dargestellt wird eine Hyäne («Suruku»). Die tra­di­tionelle sozio-religiöse Ord­nung der Bamana-Gesellschaft lässt sich in aufeinan­der fol­gende Gehe­im­bünde («jow») unterteilen, in denen die Mit­glieder entsprechend ihrem Alter oder ihrer Reife durch Ini­ti­a­tion (Ein­führung in den Kreis der Erwach­se­nen) zu Regeln und Wis­sen des Stammes Zugang erhal­ten. Jed­er dieser Bün­deken­nt ein eigenes, klar dif­feren­ziertes Masken­we­sen. Der vor­liegende Masken-Typ «Korè», küm­mert sich um die männlichen Ini­tian­den des «Korè»-Bundes, während sie im Buschlager von älteren Män­nern in die Riten und Tra­di­tio­nen des Stammes einge­führt wer­den. «Korè» markiert den Über­tritt vom Jugendlichen in das Erwach­se­nenal­ter. Die zir­ka 14–21 jähri­gen Novizen unterziehen sich dem rit­uellen Tod mit anschliessender Wieder­aufer­ste­hung. Im Buschlager wer­den die Jugendlichen in Glaubens­fra­gen, Heilkunde, Sex­u­al­ität, Leben­szyklen, oder Jagen unter­richtet. Die Hyäne versinnbildlicht im Rah­men der «Koré»-Feier die Anstren­gung der Prüflinge, ihr Geheimwis­sen zu ver­vol­lkomm­nen. Denn die Hyäne ken­nt alle Geheimnisse des Buschs und gilt als mythis­ch­er Lehrmeis­ter.

Umgang mit afrikanis­ch­er Kun­st

Nach Damien Hirsts Ausstel­lung «Schätze aus dem Wrack des Unglaublichen» während der Kun­st­bi­en­nale in Venedig (2017) wird dem Kün­stler «Cul­tur­al Appro­pri­a­tion» vorge­wor­fen. Sein  «gold­en­er Kopf» entspricht den Ile-Ife-Köfen aus Nige­ria. Obwohl die Diskus­sion um die Rück­gabe gestohlen­er Werke aus Afri­ka längst über­fäl­lig ist und jet­zt erst­mals bre­it disku­tiert wird, unter­lässt Hirst einen Kom­men­tar zum Werk und macht sich dabei selb­st zum Dieb. In der FAZ vom 16. Sep­tem­ber 2019 nimmt der zeit­genös­sis­che Kün­stler Vic­tor Ehikhamenor präzise Stel­lung dazu: Ihm ist es wichtig, dass «er den Aus­druck der ‹Cul­tur­al Appro­pri­a­tion› selb­st nie ver­wen­det hat. Für ihn sym­bol­isiert der Aus­druck einen Trend: ‹Es ist ein sehr schwieriges Wort und wird völ­lig infla­tionär ver­wen­det›, sagt er. ‹Für mich ist es in Ord­nung, wenn Kün­stler sich inspiri­eren lassen, auch wenn sie etwas kopieren. Aber wenn es eine Rep­lik mit min­i­mal­sten Änderun­gen ist, dann geht das weit über eine Inspi­ra­tion hin­aus.».

Weit­ere Objek­te, die zu dieser Geschichte passen:

«Gbekre»-Affenfigur

«Gbekre»-Affenfigur

Elfen­beinküste, Baule

«Ogbodo»-Helmmaske

«Ogbodo»-Helmmaske

Nige­ria, Ibo

«Agere Ifa»-Topf

«Agere Ifa»-Topf

Nige­ria, Yoru­ba

«Bambara» (Bamana)-Maske

«Bambara» (Bamana)-Maske

Mali, Bam­bara