Pablo Picasso und seine Begeisterung für afrikanische Kunst
«Der berühmteste Künstler des 20. Jahrhunderts» – bis zum 26. Mai 2019 findet in der Fondation Beyeler die Ausstellung «Der junge Picasso – blaue und rosa Periode statt». Die Schau zeigt, wie sich der Künstler auf die Suche nach immer neuen Bildthemen und Ausdrucksformen begibt, welche um 1907 im Kubismus gipfeln. In seinen Kunstwerken hat Picasso die Wirklichkeit nie imitiert, sondern «immer so gezeigt, wie sie ist», beschreibt der Sohn des Künstlers – Claude Picasso – die künstlerische Haltung Picassos. Dass der Künstler früh erkennt, wie vielfältig die «Wirklichkeit» ist, zeigt sich in seiner zur damaligen Zeit einmaligen Begeisterungsfähigkeit für afrikanische- und ozeanische Kunstwerke. In dieser Geschichte stellen wir vier afrikanische Kunstwerke vor.
Als die künstlerische Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts an der Revolution arbeitet, kommen die «exotischen» Kuriositäten aus den europäischen Völkerkundemuseen gelegen: Oftmals aus ehemaligen Kolonien geraubte Skulpturen aus Afrika werden von progressiven Künstlern, Händlern und Sammlern als eigenständige Kunstwerke anerkannt. Die Figuren helfen dabei, Ideen und Vorstellungen zur Anschauung zu bringen, welche nicht primär die Abbildung der Sichtbaren Welt zum Ziel haben und sind dabei Wegbereiter zu der konzeptionellen Kunst der Moderne. Der Umgang mit den Kunstwerken ist dabei ganz unterschiedlich. Picasso erkennt in den Plastiken magische Objekte zur Befreiung von Gefahr und Angst, dabei steht das kontemplative Potential im Vordergrund. Eher auf formeller als auf psychologischer Ebene von den Objekten beeindruckt ist Fernand Léger. Für das Ballett «La création du monde» (1923) greift er auf Abbildungen afrikanischer Plastiken zurück. Alberto Giacometti, Constantin Brancusi und später Henry Moore wiederum, bedienen sich unmittelbar vom Formenrepertorie. Giacomettis berühmte «Löffelfrau» von 1926 geht sicherlich auf die Getreideschaufeln der Elfenbeinküste zurück. Erfindungsreichtum und Ausdrucksstärke der Skulpturen können als verbindende Elemente genannt werden, wobei ein grundsätzliches Verständnis der Prinzipien afrikanischer Kunst ein grosses Wissen voraussetzt. Die aktuelle Diskussion zur Rückgabe afrikanischer Werke in die Herkunftsländer ist wichtig und wird dabei helfen, die verschiedenen, eigenständigen Strömungen besser zu verstehen und auch jenseits der westlichen Avantgarde zu lesen. Victor Ehikhamenor, ein international erfolgreicher Künstler aus dem Togo, beschreibt die Bedeutung der Werke sehr treffend: «Es waren nicht einfach Kunstgegenstände. Sie waren unsere Art der Geschichtsschreibung. Sie erinnern an wichtige Ereignisse, sie dokumentieren unser Leben, sie sind eine Art des Erzählens. Und: Sie rufen deinen Namen. Man kann sie nicht verwechseln.»
Elfenbeinküste, Baule
Bei dieser ausdrucksstarken Figur handelt es sich um eine Skulptur des Akan-Volkes «Baule» (Elfenbeinküste). Mit etwa 2,2 Millionen Anhängern und einem prozentualen Anteil von 23 Prozent stellen die «Baule» heute die grösste Volksgruppe des Landes. Die vorliegende Skulptur zeigt einen stehenden Affen, in den Händen eine Opferschale haltend. Geschmückt ist das Stück mit Knotenketten und Tierhörnern. Die Affen-Göttin «Simian Amuin» erhält durch die Ballung magischer Kräfte Macht, bestimmte Aufträge zu erfüllen, als Richter böser Seelen im Jenseits, oder auch als Helfer und Beschützer der Lebenden, sowie als Agrargottheit bei Ernteritualen. Der bekannte Experte Emil Störer beschreibt das Stück als «echte afrikanische Volkskunst für Museen und Sammlungen bestimmt».
Nigeria, Yoruba
Nigeria, Ibo
Die grossformatige Helmmaske stammt aus dem Ibo-Siedlungsgebietes im Südosten von Nigeria. Die «Ibo-Izzi», eine Unter-Gruppe der «Ibo» (oder auch Igbo), nennen den Masken-Typ «Ogbodo Enyi» («Elefanten-Geist»). Beim vorliegenden Stück handelt es sich um eine Aufsatz-Maske, welche laut dem Experten René David «von einem weiblichen Mitglied der Ibo im Kult verwendet wurde». Die Maske wird horizontal auf dem Kopf des Maskentänzers- oder der Maskentänzerin getragen. Formal ist «Ogbodo Enyi» eine Komposit-Maske aus Teilen verschiedener Tiere: Die Stosszähne eines Elefanten weisen immer nach vorne, dann kommt das Maul eines Nilpferdes, gefolgt von Teilen des Warzenschweins. Der nach vorne ragende Fortsatz auf der Stirn der Maske wird als «Rüssel des Elefanten» gedeutet. Die «Ogbodo Enyi» gilt als gutmütiges, hilfsbereites Wesen, als ein «Freund des Dorfes», der die Menschen beschützt. Auf ihrer Rückseite trägt die Maske einen einzelnen, geschnitzten Menschenkopf. Wegen der eindrücklichen Grösse des Arbeit kann auf einen ranghohen Träger geschlossen werden.
Mali, Bambara
Die ethnische Gruppe der «Bambara» zählt etwa 4 Millionen Menschen. Angesiedelt am Mittleren Fluss Niger sowie an den angrenzenden Gebieten Burkina Fasos, hat die Volksgruppe einen Anteil an der Gesamtbevölkerung Malis von etwa 38%. Der hier angebotene Masken-Typ gehörte zu Beginn des 20. Jahrhunderts wegen seiner reduzierten Formensprache zu den beliebtesten Inspirationsquellen für avantgardistische Kunstschaffende. Dargestellt wird eine Hyäne («Suruku»). Die traditionelle sozio-religiöse Ordnung der Bamana-Gesellschaft lässt sich in aufeinander folgende Geheimbünde («jow») unterteilen, in denen die Mitglieder entsprechend ihrem Alter oder ihrer Reife durch Initiation (Einführung in den Kreis der Erwachsenen) zu Regeln und Wissen des Stammes Zugang erhalten. Jeder dieser Bündekennt ein eigenes, klar differenziertes Maskenwesen. Der vorliegende Masken-Typ «Korè», kümmert sich um die männlichen Initianden des «Korè»-Bundes, während sie im Buschlager von älteren Männern in die Riten und Traditionen des Stammes eingeführt werden. «Korè» markiert den Übertritt vom Jugendlichen in das Erwachsenenalter. Die zirka 14–21 jährigen Novizen unterziehen sich dem rituellen Tod mit anschliessender Wiederauferstehung. Im Buschlager werden die Jugendlichen in Glaubensfragen, Heilkunde, Sexualität, Lebenszyklen, oder Jagen unterrichtet. Die Hyäne versinnbildlicht im Rahmen der «Koré»-Feier die Anstrengung der Prüflinge, ihr Geheimwissen zu vervollkommnen. Denn die Hyäne kennt alle Geheimnisse des Buschs und gilt als mythischer Lehrmeister.
Umgang mit afrikanischer Kunst
Nach Damien Hirsts Ausstellung «Schätze aus dem Wrack des Unglaublichen» während der Kunstbiennale in Venedig (2017) wird dem Künstler «Cultural Appropriation» vorgeworfen. Sein «goldener Kopf» entspricht den Ile-Ife-Köfen aus Nigeria. Obwohl die Diskussion um die Rückgabe gestohlener Werke aus Afrika längst überfällig ist und jetzt erstmals breit diskutiert wird, unterlässt Hirst einen Kommentar zum Werk und macht sich dabei selbst zum Dieb. In der FAZ vom 16. September 2019 nimmt der zeitgenössische Künstler Victor Ehikhamenor präzise Stellung dazu: Ihm ist es wichtig, dass «er den Ausdruck der ‹Cultural Appropriation› selbst nie verwendet hat. Für ihn symbolisiert der Ausdruck einen Trend: ‹Es ist ein sehr schwieriges Wort und wird völlig inflationär verwendet›, sagt er. ‹Für mich ist es in Ordnung, wenn Künstler sich inspirieren lassen, auch wenn sie etwas kopieren. Aber wenn es eine Replik mit minimalsten Änderungen ist, dann geht das weit über eine Inspiration hinaus.».
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