1. Januar 2019

Gebratene Flamingos und das grosse Fressen

Die be­sinn­li­che Zeit des Jahres liegt hin­ter uns und mit ihr lau­ter Feste und Feierlichkeiten. Tannenbäume wur­den ge­schmückt, Truthähne ge­stopft, Kerzen ent­flammt, Gläser ge­füllt und Raketen ge­zün­det. Welche Rituale dem Fest auch im­mer zu Grunde lie­gen mö­gen: Man durch­bricht ge­mein­sam die Monotonie des Alltags, nimmt das Fest wie es fällt und er­gibt sich fröh­li­cher Ausgelassenheit. Dazwischen und wäh­rend­des­sen wird im Idealfall hau­fen­wei­se ge­ges­sen und ge­trun­ken. Was heu­te so ist, war schon im­mer so. Jedenfalls was den Kern ei­ner je­den Festlichkeit be­trifft: Der ge­mein­sa­me Rausch.

Rückkehr in das Chaos
Ein Fest zu fei­ern ist eine ganz an­ge­neh­me Sache. So gibt es un­ge­ach­tet fei­ner Unterschiede auch nur we­ni­ge Kulturen, die nicht im­mer schon ge­nü­gend Gründe hat­ten, sich mehr­mals jähr­lich zu Brot und Spiel zu tref­fen. Heiligsprechungen und Schulabschlüsse, Krönungen und Filmpremieren, Geburten und Beförderungen, Gedenkanlässe und Vernissagen, Staatsempfänge und Schützenfeste, Salons und Regentänze, Himmelfahrten und Ehrungen, Hochzeiten und mys­ti­sche Riten. Hier und da stets ein feucht fröh­li­ches Happening, an dem man den Alltag nie­der­legt und die Feier auf­le­ben lässt. Freilich ge­stal­ten sich die Feierlichkeiten in ih­rem Ausmass sehr un­ter­schied­lich und der Rausch wird orts- und kul­tur­ab­hän­gig auf sehr ver­schie­de­ne Arten evo­ziert. Im Grundsatz aber bil­det er für den Menschen die Grundmotivation von so man­chem Anlass. Auch der für die­ses Thema be­rühm­te fran­zö­si­sche Soziologe Emile Durkheim sah das Wesen des Festes im Exzess und be­schrieb die­sen als Augenblick der Rückkehr in das Chaos ei­ner Ursprungszeit in wel­cher die all­täg­li­chen Grenzen zwi­schen Erlaubtem und Unerlaubtem auf­ge­ho­ben sei­en.

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Die Weisse Rose

Die Weisse Rose

Daniel Spoerri, 2014

Bild 1: Thomas Couture, Die Römer der Verfallszeit, 1847, Musée d’Orsay, Paris

Die Evolution des Feierns
Im Gemälde «Die Römer der Verfallszeit» von Thomas Couture wer­den die Grenzen zwi­schen Erlaubtem und Unerlaubtem auf­ge­ho­ben; und bis heu­te scheint die Lust am Fest tief in uns ver­an­kert zu sein. Das äl­tes­te Trinkspiel ist be­legt in die Zeit um das 5. Jahrhundert v. Chr. und wur­de im an­ti­ken Griechenland in der Regel nach dem Dessert ze­le­briert. Das Ziel beim so­ge­nann­ten «Kottabos» be­stand dar­in, in ho­hem Bogen ei­nen Schluck Wein aus dem Trinkgefäss zu schleu­dern und so ein be­stimm­tes Ziel mit deut­lich hör­ba­ren Klatschen zu tref­fen. Die im Gefäss ver­blei­ben­de Menge wur­de ei­lig aus­ge­trun­ken. Ein Symposiarchos, der «Vorsitzende der Trinker», stand dem Gelage vor. Wurden zu we­nig Becher ge­trun­ken, er­teil­te die­ser Strafen, die in der Regel dar­in be­stan­den, den Becher in ei­nem Zug zu lee­ren. Schliesslich wur­de in der Antike all­ge­mein an­ge­nom­men, dass der Rausch ei­nen Kontakt zu ei­ner hö­he­ren Macht er­mög­licht. Ein er­wünsch­ter Zugang zu Übernatürlichem, aus­ge­löst durch ei­nen Rausc,h ist auch in der eth­no­lo­gi­schen Forschung be­legt, so dau­er­ten Feste der Yoruba-Gesellschaft  oft ta­ge­lang und zu­wei­len bis zur le­bens­be­droh­li­chen Erschöpfung. Was nach den letz­ten Szenen des gros­sen Filmklassikers «La Grande Bouffe» klingt, mag eine Art Ur-Lust sein, dem Geist im Rahmen ei­nes Fests frei­en Lauf zu las­sen.

Die Feste dau­er­ten ta­ge­lang und zu­wei­len bis zur lebens­bedrohlichen Erschöpfung.

Bild 2: Trinkgefäss (Kylix) mit Abbildung ei­nes jun­gen Mannes wäh­rend des Trinkspiels Kottabos, Griechische Antike, 450 – 440 v. Chr. (Copyright: Museum of Fine Arts, Boston)

Das Fest als Statussymbol
Das Fest ist Ort der so­zia­len Zusammenkunft, wo Spontanes und Emotionales er­wünscht sind. Sorgen und Kummer des Alltags wer­den bei­sei­te­ge­legt, Konventionen wer­den ge­mein­sam durch­bro­chen und be­las­ten­de Erfahrungen ver­ges­sen. Versammelt um ei­nen Tisch geht man auf in der un­mit­tel­ba­ren Gegenwart und ze­le­briert aus­schwei­fend. Eine Festlichkeit hat­te schliess­lich auch im­mer den Zweck Status und Reichtum vor­zu­füh­ren. Die Mittel für die Zurschaustellung wa­ren da­bei wäh­rend man­cher Epochen nicht nur de­ka­dent son­dern auch Kurios. Wohlhabende Römer bei­spiel­wei­se, lies­sen Ihre Gäste vor dem Bankett durch Ihren Privatsekretär durchs Haus füh­ren. Dieser steu­er­te da­bei nicht nur ge­schickt vor­bei an den be­deu­ten­den Kunstwerken und ori­gi­nel­len Architekturelementen son­dern wies auch sehr frei­mü­tig auf den üp­pig ge­füll­ten Geldschrank hin. Gereicht wur­den dann meist Austern, Wein und – ge­bra­te­ne Flamingos. Elegantes Federvieh war auch spä­ter gern ge­se­hen an den Tafeln hö­fi­scher Gesellschaftern. Louis XIV liess im Zuge sei­nes Dekorationswahns Schwäne bra­ten und reich­lich zu Tisch brin­gen. Dies ob­schon die­se völ­lig un­ge­niess­bar wa­ren. Der tra­ni­ge Geschmack hat die Symbolwirkung des ed­len Vogels je­doch kaum ge­schmä­lert.

Bild 3: David Teniers The Younger, Küchen Interieur, 1644 (Copyright: The Mauritshuis Collection)

Die Sprache des Essens
Es muss­te aber nicht im­mer ein ge­bra­te­ner Schwan sein, um mit Lebensmittel kom­mu­ni­zie­ren zu wol­len. Durch Geschichte, Herkunft, Zubereitungsaufwand, Preis und Aussehen wur­de schon mach ein­fa­ches Obst mit Bedeutungen auf­ge­la­den, an die wir heu­te kaum mehr den­ken. So stand, ge­prägt durch Pflanzenschutz be­tref­fen­de Rechtswidrigkeiten im Garten Eden, der Apfel stets als Symbol für den Sündenfall und die Versuchung. Der Krebs stand mit sei­ner eher spe­zi­el­len Gangart stell­ver­tre­tend für die Verrücktheit der Welt, wäh­rend lee­re Pokale und gros­se Trinkgefässe die Leere und das aus­ge­leb­te Leben wie­der­spie­geln soll­ten. Und dann gibt es da noch den bis heu­te be­kann­ten Weihnachtsapfel. Schon früh war bei den heu­te als Orangen be­kann­ten Früchten von sa­gen­um­wo­be­nen «Goldäpfeln» die Rede. Die christ­li­che Phantasie hat dem Verzehr ei­ner Orange ewi­ges Leben nach­ge­sagt und so­mit ver­füh­re­ri­sche Absichten vor­ge­wor­fen.

Bild 4: Abraham van Beyeren, Banquet Still Life, af­ter 1655. Oil on can­vas, Royal Picture Gallery Mauritshuis

Nach dem Fest
Der so­zia­le Akt des ge­mein­sa­men Mahls ist un­trenn­bar mit der kul­tu­rel­len Identität ver­wur­zelt. Daniel Spoerri zeigt in sei­nen «Fallenbildern» nicht etwa die sinn­li­che Üppigkeit an­ge­rich­te­ter und zum Verzehr be­reit­ge­stell­ter Speisen, son­dern viel­mehr die Situation nach ei­nem ge­mein­sa­men Mahl. Seine be­kann­ten Fallenbilder zei­gen Mahlzeiten als ver­gäng­li­che Stillleben, ar­ran­giert aus Essensresten, schmut­zi­gem Besteck, un­ge­wa­sche­nen Gläsern und vol­len Aschenbechern. Die fi­xier­ten, wie ein­ge­fro­ren wir­ken­den Ergebnisse sind nicht nur Momentaufnahmen so­zia­ler Interaktion, son­dern auch stum­me Zeugen ei­nes ewi­gen Kreislaufes, sie «…spie­geln ei­nen Ausschnitt aus dem Zyklus des Lebens wi­der. Was pas­siert denn un­mit­tel­bar nach dem Essen?». Die Freude des Rausches vor Augen, kann man es nur ah­nen. In die­sem Sinne freu­en wir uns auf die ganz be­sinn­li­chen Tage des Jahres. Und auf den Rausch.

Daniel Spoerri: Sevilla-Serie Nr. 29 – Schweizer Tessinergeschirr. Assemblage 1991. 80x186x40 cm (Foto: MPEFM)

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