20. Januar 2019

Ein schönes Gesäss und der grosse Blumenstrauss

Meterhohe Rosen, knall­blaue Nelken mit dem mys­ti­schen Namen «Moonlite» oder Blumen, welch plötz­lich ge­gen be­stimm­te Viren re­sis­tent sind: Weltweit ar­bei­ten zahl­rei­che Laboratorien dar­an, das Erbgut von Pflanzen an ei­nem vor­be­stimm­ten Ort zu ver­än­dern, um neu­ar­ti­ge Kreationen zu er­schaf­fen. Bis vor etwa vier­zig Jahren wa­ren die­se Eingriffe in die Natur aus­schliess­lich Kunstschaffenden vor­be­hal­ten. Ein schö­nes Beispiel für mensch­lich ver­än­der­te Blumen ist das gross­for­ma­ti­ge Stilleben «Grosser Blumenstrauss» (1940) von Martin Lauterburg.

Das in Oel auf Leinwand ge­mal­te Bild «Grosser Blumenstrauss» von Martin Lauterburg ver­ei­nigt Feuerlilien, Begonien, Fingerhut, Gladiolen, Rittersporn und Margeriten. Der Kunsthistoriker Ulrich Christoffel (1891–1975) wid­me­te dem Gemälde in sei­ner Lauterburg-Monografie ei­nen aus­führ­li­chen Aufsatz und schwärm­te: «Lauterburg er­schafft [im Gemälde «Grosser Blumenstrauss»] ei­nen Blumenkosmos, der über alle Begrenzungen hin­aus­zu­blü­hen, zu drän­gen scheint. Der Künstler [malt] in den stil­len Geschöpfen Blumen eine […] Unendlichkeit an Farbe, Weite, Tiefe, Gestalt und Leben. Diese üp­pi­ge Entfaltung der Blumen wird aber bei al­ler Natursinnlichkeit der Farben und des Blühens zur künst­le­ri­schen Form ver­geis­tigt, zu je­ner Identität von Sein und Schein ent­wirk­licht, wie nur die Malerei sie er­fas­sen und er­kenn­bar dar­stel­len kann». Ulrich Christoffel hat den Blumenstrauss 1963 be­schrie­ben – in die­ser Zeit wur­de die Möglichkeit, Pflanzen gen­tech­nisch zu ver­än­dern, höchs­tens in klei­nen Forscherkreisen be­spro­chen. Deshalb er­staunt es nicht, dass der Kunsthistoriker dem Maler die Fähigkeit zu­schreibt, all­täg­li­che Blumen zu ei­ner «Identität von Sein und Schein» zu ent­wirk­li­chen. Dass die Blumen auf dem Bild von Lauterburg etwa dop­pelt so gross dar­ge­stellt wer­den, als sie «wirk­lich» sind und dass noch zum Entstehungszeitpunkt des Gemäldes (1940) und vor al­lem in der äl­te­ren Kunstgeschichte je­der ein­zel­nen Blumen eine be­son­de­re Bedeutung zu­ge­schrie­ben wur­de, soll in der fol­gen­den «Reise in 5 Bildern» auf­ge­zeigt wer­den.

Lauterburgs Blumenkosmos kau­fen:

«Grosser Blumen­strauss»

«Grosser Blumen­strauss»

Martin Lauterburg, 1940

Sowohl in Istanbul als auch in China sind his­to­ri­sche Quellen zu fin­den, in wel­chen be­reits vor über 2’500 Jahren ein­zel­nen Pflanzen und Früchten Bedeutungen zu­ge­schrie­ben wur­den. So soll­te ei­nem die Winterkirsche im al­ten China Mut zu­spre­chen und im Orient mahn­ten Veilchen eine be­schenk­te Person zu Bescheidenheit. Diese Methode – Aussagen ohne Worte zu über­mit­teln – mach­te sich ins­be­son­de­re auch die christ­li­che Ikonographie zu Nutze.  Viele Personen, wel­che sich zum Christentum be­ken­nen soll­ten, konn­te bis in die frü­he Neuzeit nicht le­sen, wuss­ten aber oft­mals um die Bedeutung der ein­zel­nen Blumen. Auf dem ge­zeig­ten Gemälde von Bartolomeo bei­spiels­wei­se fin­den sich zwei sehr be­rühm­te Symbole: Die rote Nelke gilt als Mariensymbol, weil sie für die Liebe steht. Der Apfel oder die Mandarine wie­der­um neh­men Bezug auf den Sündenfall, von des­sen Folgen Christus er­löst.

Die Mandarine kann nebst dem Hinweis auf den Sündenfall aber auch ein Treueversprechen- be­zie­hungs­wei­se ein Liebesbeweis dar­stel­len: Auf dem «Genfer Verlobungs-Portrait» aus dem 17. Jahrhundert wird eine Dame mit Mandarine ab­ge­bil­det. Das Gemälde hat der da­ma­li­ge Minister von Saarbrücken, Jean-Christian Stutz (1590-1637), in Auftrag ge­ge­ben und es sei­ner zu­künf­ti­gen Frau ge­schenkt. Ohne sei­ne Liebe in Worte fas­sen zu müs­sen, wuss­te die­se, dass sie ge­liebt wird.

Um bei der oran­gen Farbe und ei­ner Kommunikation ohne Worte zu blei­ben, bie­tet sich ein Blick auf Emoji, wel­che heu­te ins­be­son­de­re in SMS und Chats ein­ge­setzt wer­den, um län­ge­re Begriffe zu er­set­zen oder um Sprachbarrieren zu über­win­den. Das Symbol der Pfirsich ist se­xu­ell ge­la­den und kann als Anspielung auf ein schö­nes Gesäss ge­deu­tet wer­den.

Die eng­li­sche Adelige Lady Mary Wortley Montagu be­rich­te­te um 1703 in ih­ren Briefen aus Istanbul von der «Kommunikation mit Blumen». Die Adelige ent­deckt auf ih­ren Reisen eine fest­ste­hen­de Bedeutung, die je­der Blüte zu­ge­spro­chen wur­de, so­ge­nann­te «Selam». Im vik­to­ria­ni­schen Europa fas­zi­nier­te die­se Entdeckung, die «Blume als Bedeutungsträger» wur­de schnell zur Mode. Dies ei­ner­seits, um die Möglichkeit der non­ver­ba­len Kommunikation wei­ter aus­zu­schöp­fen und an­de­rer­seits, weil es eine Bildsprache un­ab­hän­gig der be­las­ten­den christ­li­chen Symbolik war. Seit die­ser Zeit gel­ten die Margeriten und die Rosen bei­spiels­wei­se als zu­kunfts­vor­her­sa­gen­de, meist po­si­tiv und hoff­nungs­voll as­so­zi­ier­te Blumen («Er liebt mich/er liebt mich nicht)».

Wurden ein­zel­nen Pflanzen bis zum zwei­ten Weltkrieg ge­naue Bedeutungen zu­ge­schrie­ben, er­fül­len sie heu­te vor al­lem de­ko­ra­ti­ve Zwecke. Jedoch wird die ur­sprüng­lich künst­le­ri­sche Möglichkeit, Blumen wie im Gemälde von Lauterburg zu «ent­wirk­li­chen» (zum Beispiel zu ver­grös­sern) im­mer mehr zur Realität. Die Methode CRISPR/Cas9  steht für ein Verfahren, wel­ches DNA-Bausteine im Erbgut ver­än­dern soll, mit den Möglichkeiten ge­gen Aids, Krebs und eine Reihe von Erbkrankheiten, vor­zu­ge­hen. Gleichzeitig er­laubt die mo­le­ku­lar­bio­lo­gi­sche Methode, auch in die Entwicklung und das Aussehen von Pflanzen ein­zu­grei­fen.

Weitere Objekte, die zu die­ser Geschichte pas­sen:

«Grosser Blumen­strauss»

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Martin Lauterburg, 1940

Das Genfer Verlobungs-Portrait

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Genfer Schule, 17. Jh.

Jagd-Stillleben

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Wohl Frankreich, 2. Hälfte 18. Jahrhundert

Das Tier mit den Lammhörnern

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Albrecht Dürer, um 1496/97