3. März 2019

«Gurlitt und die Vergessenen»: Ein Gespräch mit Dr. Gerhard Schneider

Der deutsche Kun­st­samm­ler Dr. Ger­hard Schnei­der besitzt die umfassend­ste Samm­lung «entarteter» Kun­st in Pri­vatbe­sitz. Durch seine wis­senschaftliche Samm­lungstätigkeit hat er vie­len Kun­stschaf­fend­en, welche von den Nazis ver­femt und ver­fol­gt wor­den waren, vor dem Vergessen bewahrt. Ger­hard Schnei­der wurde 1938 in Mars­berg (West­falen) geboren. Nach dem Studi­um der Philoso­phie, Ger­man­is­tik, The­olo­gie und Geschichte pro­movierte er über den Gottes­be­griff des Nico­laus von Kues und ist von 1979–2005 als Kun­stan­ti­quar tätig gewe­sen. Die Begeg­nung mit dem Nach­lass des Kün­stlers Valentin Nagel 1983 löste in ihm die Suche nach den Kün­stlern der «ver­schol­lenen Gen­er­a­tion» aus und legte den Grund­stock für die Samm­lung ver­fol­gter Kün­stler. Bei griechis­chen «Mezzedes», Ouzo und Louk­oumades haben wir uns mit Dr. Ger­hard Schnei­der über seine Samm­lung und den «Fall Gurlitt» unter­hal­ten.

Sie haben uns fre­undlich­er Weise einen umfassenden Ein­blick in Ihre Samm­lung ermöglicht. Da sind wir auf eine Rei­he bekan­nter Kün­stler und Kün­st­lerin­nen gestoßen, etwa auf Max Beck­mann, Ernst Lud­wig Kirch­n­er und Karl Schmidt-Rot­tluff, Käthe Koll­witz oder Chris­t­ian Rohlfs. Der weit über­wiegende Teil ihrer Kunst­werke stammt jedoch von Kun­stschaf­fend­en, die kaum jeman­dem bekan­nt sind. Wer etwa ken­nt Bruno Beye, Friedrich G. Ein­hoff, Hen­ri Epstein, Valentin Nagel, Käthe Löwen­thal oder Elfriede Lohse-Wächtler? Weshalb sind diese Namen einem großen Per­so­n­enkreis nicht bekan­nt?
Die Bilder, die Sie ansprechen, stam­men meis­tens von Kün­st­lerin­nen und Kün­stlern, welche zwis­chen 1890 und 1910 geboren wur­den. Obwohl es in diesen Jahrgän­gen außeror­dentlich viele Tal­ente gab, waren sie zu jung, um zu den frühen Inno­va­toren der Mod­erne zu gehören, etwa zur «Brücke» oder zum «Blauen Reit­er». Deshalb sind sie nur gele­gentlich in der Lit­er­atur vor dem 2. Weltkrieg verze­ich­net. Als ihre Begabun­gen offenkundig wur­den, zer­malmte sie die braune Dik­tatur mit Verunglimp­fun­gen und Berufsver­boten. Auch die Zeit davor war der jun­gen Kun­st gegenüber eher zurück­hal­tend, aber mit dem Nation­al­sozial­is­mus ist das defin­i­tive Desaster über diese Kün­stler hereinge­brochen. Die jün­gere Gen­er­a­tion der Mod­erne wurde in gle­ich­er Weise wie ihre zumeist schon bekan­nten Vor­bilder und Anreger der 1. Gen­er­a­tion, meist um 1880 geboren, aus­ge­gren­zt, weil sie nicht dem «völkischen Ide­al» der Nation­al­sozial­is­ten entsprachen. In allen Belan­gen war es rück­wärts­ge­wandt, ver­her­rlichte einen Heroenkult, ori­en­tierte sich an der His­to­rien­malerei des 19. Jahrhun­derts oder auch an seicht­en Idyllen ein­er ver­meintlich vor­bildlichen Bie­der­meier­welt. Mit der Machtüber­nahme der Nazis 1933 geri­et die Kunst­welt durch ihre Wah­n­vorstel­lun­gen von ein­er «arischen Kun­st» mehr und mehr aus den Fugen. Sie lehn­ten den gesamten Auf­bruch in die Mod­erne ab, sahen in ihm eine Ver­judung und Bolschewisierung, die ihr ver­meintlich­es «Her­ren­volk» in die Irre führen und krank machen würde. Die Anfänge sahen sie bere­its im (franzö­sis­chen) Impres­sion­is­mus. Den Höhep­unkt ein­er «Degen­er­a­tion» machte man im Expres­sion­is­mus und in unge­gen­ständlich­er Kun­st aus.

Mit Ihrer Samm­lung und der entsprechen­den Ausstel­lungs- und Pub­lika­tion­stätigkeit rück­en Sie seit über 30 Jahren diese von dem Mar­burg­er Kun­sthis­torik­er Rain­er Zim­mer­mann um 1980 so genan­nte «ver­schol­lene Gen­er­a­tion» in den öffentlichen Fokus. Sie haben zu Niko­laus von Kues dis­sertiert, welch­er schon im 15. Jahrhun­dert jed­er Reli­gion ein berechtigtes Anliegen und einen Zugang zur Wahrheit zus­prach. Hat Sie Cusanus in Ihrer Hal­tung als Samm­ler bee­in­flusst?
Sie stellen mir eine inter­es­sante Frage, über die ich in dieser Form noch nicht nachgedacht habe. Richtig ist, dass ich ana­log den Meth­o­d­en des Niko­laus von Kues der Welt stets fra­gend und forschend gegenübertrete. Wahrschein­lich erschließt jedes Sam­meln dem­jeni­gen, der ihm nachge­ht, neue und ungeah­nte, ein­fach erweit­erte Bezüge zur Welt. In meinem Fall ist es immer wieder etwas Bere­ich­ern­des, in den einzel­nen Kunst­werken die Welt mit den Augen beziehungsweise aus dem Blick­winkel der Kün­stler zu sehen. Nach­dem ich mich über lange Zeit, vor allem als Kun­st­san­ti­quar, mit topografis­ch­er Druck­grafik beschäftigt und solche mit regionalem Bezug gesam­melt habe, konzen­triere ich mich seit über 30 Jahren auf die Aufar­beitung der Wirkungs­geschichte des Expres­sion­is­mus, speziell der expres­siv­en Gegen­ständlichkeit, und um weit­ere Phänomene überse­hen­er Kun­st und unbekan­nter Kün­stler, die durch die wirren Zeitläufe des 20. Jahrhun­derts, vor allem durch poli­tis­che Vor­gaben beziehungsweise Imp­lika­tio­nen beina­he in Vergessen­heit ger­at­en wären.

Wie haben Sie den Sprung vom 16. Jahrhun­dert in das 20. Jahrhun­dert gemacht?
Als Kun­stan­ti­quar stieß ich 1983 in Mainz auf den Nach­lass von Valentin Nagel (1891–1942), eines bis dahin gän­zlich Unbekan­nten mit ein­er unglaublich aus­geprägten eigen­willi­gen Hand­schrift, die in ihren besten Bildern Ele­mente des syn­thetis­chen Kubis­mus und der Neuen Sach­lichkeit miteinan­der verbindet. Er hat­te bei Hans Hof­mann in München studiert, einem der inno­v­a­tivsten Kun­st­päd­a­gogen des 20. Jahrhun­derts. Das ver­ri­et ein im Nach­lass erhal­tener Stu­den­te­nausweis. Trotz ein­er kaum ver­gle­ich­baren Bil­dauf­fas­sung und der in ihrer Qual­ität überzeu­gen­den Ansprüche – erhal­ten sind ca. 130 muse­ale Werke — fand sich sein Name in keinem Lexikon. Valentin Nagels Nach­lass löste bei mir eine Ini­tialzün­dung aus, zumal ich ihn 1984 größ­ten­teils erwer­ben kon­nte

Und wie ist es weit­erge­gan­gen?
Valentin Nagel lieferte für mich die Ini­tialzün­dung zum Samm­ler min­destens ein­er Kün­st­ler­gen­er­a­tion zu wer­den, denen das Schick­sal, verur­sacht durch die Bedin­gun­gen des 20. Jahrhun­derts mit zwei Weltkriegen, zwei Dik­taturen auf deutschem Boden und weit­eren ungün­sti­gen Gegeben­heit­en wenig gut geson­nen war. Wenn Sie so wollen, gehe ich den dadurch bed­ingten Ver­w­er­fun­gen in der Kun­st­geschichte des ver­gan­genen Säku­lums nach. Die Anzahl der ins Abseits Ger­ate­nen ist fast nicht vorstell­bar. Auf­grund erhal­tener Unter­la­gen des Reich­spro­pa­gan­damin­is­teri­ums und jün­ger­er Forschungsar­beit ist heute zu bele­gen, dass bei den NS-Beschlagnah­meak­tio­nen zur «entarteten» Kun­st 1937/38 fast 21.000 Kunst­werke von knapp 1.600 Künstlern*innen aus 101 deutschen Museen beschlagnahmt wur­den. Auf die Aus­gren­zun­gen aller den Nazis Missliebi­gen, etwa die poli­tisch Ander­s­denk­enden oder die auf­grund ihrer Herkun­ft Geächteten und bis in den Tod Ver­fol­gten einzuge­hen, sprengt den Rah­men dieses Inter­views. Es han­delt sich um einen kaum vorstell­baren, riesi­gen Kom­plex, den aufzuar­beit­en mein­er Mei­n­ung nach noch min­destens zwei Gen­er­a­tio­nen dauern wird.

Ihre Samm­lung, mit­tler­weile in ein­er von Ihnen konzip­ierten und her­aus­gegebe­nen Buchrei­he mit fünf Bän­den zu großen Teilen veröf­fentlicht, zeich­net sich durch eine weit­ere Beson­der­heit aus. Sie nen­nen es «Das 20. Jahrhun­dert im Kün­stler­bild». Was genau meinen sie damit?
Bis zur Verdich­tung auf diese Art Kurz­formel habe ich zumeist von «kün­st­lerischen Bild­doku­menten zum Zeit­geschehen des 20. Jahrhun­derts» gesprochen. Eine erstaunlich große Anzahl von Kün­stlern, jedoch nur wenige Kün­st­lerin­nen (etwa Käthe Koll­witz oder Lea Grundig), haben sich mit den his­torischen und gesellschaftlichen Ereignis­sen auseinan­der geset­zt. So find­en sich im mein­er Samm­lung allein über 600 Arbeit­en zum Ersten Weltkrieg (mit eigen­em Kat­a­log), Arbeit­en zur Novem­ber­rev­o­lu­tion oder der auseinan­der drif­ten­den Gesellschaft der 1920 Jahre (Not der Arbeit­er – Tanz auf dem Vulkan), allein drei Fol­gen von in KZs inhaftierten Kün­stlern, die diese Grauen­szeit über­lebt haben, oder auch Bilder zum Mauer­bau von 1961 und den unter­schiedlichen Lebensver­hält­nis­sen in Ost- und West­deutsch­land. Diese Werke bilden eine Art Hin­ter­grunds­folie, die uns ein besseres Ver­ständ­nis des übri­gen kün­st­lerischen Schaf­fens ver­mit­teln kann.

Kön­nten Sie diesen aus mein­er Sicht beson­deren Samm­lungs­bere­ich mit eini­gen Beispie­len vorstellen? Vielle­icht ein solch­es zum Ersten Weltkrieg?
Wenn Sie mich als Schweiz­er fra­gen, denke ich spon­tan an die Mappe «Krieg. 7 Blät­ter. Allen Völkern gewid­met» von Willibald Krain (1886–1945). Nach zwei Kriegs­jahren wird Vie­len das Grauen des Sich Abschlacht­ens bewusst. Auf­grund der Indus­tri­al­isierung der Kriegs­maschiner­ie, des erst­ma­li­gen Ein­satzes von Gift­gas und weit­er­er kaum vorstell­bar­er Unmen­schlichkeit­en, geht es dem Kün­stler um einen paz­i­fistis­chen Appell. In kein­er der kriegführen­den Natio­nen fand der schle­sis­che Maler und Illus­tra­tor zunächst einen Ver­leger. Das Schweiz­er Ver­lagshaus Orell/Füssli war bere­it dazu. In ein­er stark verdichteten drama­tis­chen Bild­folge kann der Betra­chter seine Schlüsse ziehen, welch immenses Leid jed­er Krieg für die Men­schen mit sich bringt. In sein­er Vorrede schreibt Krain: «Wenn in den vor­liegen­den sieben Bildern der Krieg ein­seit­ig dargestellt wurde, so geschah es in der Absicht, aus seinen vie­len Masken das grauen­hafte Urgesicht her­auszulösen, das er in jedem Lande und Volke behält». Krains Appell ver­an­lasste Kurt Tuchol­sky, diesem Werk in der Welt­bühne lobende Anerken­nung zu zollen.

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Kirche im Gebirge

Kirche im Gebirge

Her­bert Anger, 1922

Gibt es Ver­gle­ich­bares gegebe­nen­falls auch im Kon­text mit dem Zweit­en Weltkrieg?
Als vielle­icht ein­drück­lich­stes Beispiel fällt mir Georg Net­zbands (1900–1984) Bild  «Der Sieger» ein. Es zeigt den Tod in Gen­er­al­suni­form auf einem Leichen­berg ste­hend über eine zer­störte Land­schaft und auf eine eben­so zer­störte Stadt blick­end. Im Hin­ter­grund sieht man einen Eisen­turm mit abgeknick­ter Spitze. Es han­delt sich nicht um den Eif­fel­turm, wie viele auf den ersten Blick mut­maßen, son­dern den Berlin­er Funk­turm. Mit einem solchen Bild, im Mai 1939 im Garten gemalt, vier Monate vor dem von Hitler vom Zaun gebroch­enen Krieg, hofft der Kün­stler mit dieser Darstel­lung bere­its auf  den Unter­gang des Nazire­ichs und das Ende sein­er Pro­pa­gan­da. Im Garten malt er es, um den mit der Farbe ver­bun­de­nen Geruch zu ver­mei­den, da er von Block­warten überwacht wurde, auch wenn er offiziell keinem Berufsver­bot unter­lag. Als Net­zband gegen Ende des Krieges nach einem Unfall noch an die Ost­front abkom­mandiert wurde, ver­grub er dieses und andere Bilder in von ihm  gefer­tigten Blechk­isten in der Erde. Da der Kün­stler 1948 aus rus­sis­ch­er Kriegs­ge­fan­gen­schaft zurück­kehren kon­nte, sind diese her­aus gegrabenen Bild­doku­mente für uns heute Leben­den ein­ma­lige Zeitzeug­nisse und ver­rat­en uns zugle­ich etwas über eine aufrechte Hal­tung und visionäre Ein­schätzung des NS-Staates.

In ganz ander­er Weise haben Sie mich auf ein Beispiel in Ihrer Samm­lung aufmerk­sam gemacht, das man sehr wohl auch als ein Bild zur Zeit aus­machen kann und das in die Nachkriegszeit gehört.
Sie meinen das Bild «Lot und seine Töchter» von Georg Paul Hey­duck (1898–1962). Es ist um 1950 ent­standen. Die The­matik des Bildes ste­ht für das Fak­tum, das der Krieg unzäh­li­gen Frauen die Män­ner ger­aubt hat­te. Sie wussten in dieser Sit­u­a­tion nicht, wie es weit­erge­hen sollte und konkret gesprochen, woher sie Män­ner nehmen soll­ten. In der Bibel forderten die Töchter in ein­er ver­gle­ich­baren Sit­u­a­tion – beim Unter­gang Sodoms waren keine Män­ner mit­ge­flo­hen – Lot auf, ihnen Män­ner zu besor­gen. Da er es nicht ver­mochte, macht­en sie ihn trunk­en, um sich mit ihm einzu­lassen und wur­den von ihm schwanger. Hey­ducks Bild verge­gen­wär­tigt also mit Hil­fe ein­er bib­lis­chen Metaphorik einen konkreten Not­stand im besiegten und zer­störten Deutsch­land nach 1945.

Richt­en wir unseren Blick noch weit­er auf die Zeit nach 1945 und die Teilung Deutsch­lands. Derzeit ist die soge­nan­nte «entartete» Kun­st in den Medi­en vielfach präsent, ein immer noch unseliges Erbe der braunen Dik­tatur. Nur sel­ten rückt jedoch das Schick­sal der ver­femten Kun­stschaf­fend­en nach dem 2. Weltkrieg in den Blick­punkt. Im West­en war die Kun­st vor allem durch unge­gen­ständliche Darstel­lungsweisen, speziell den abstrak­ten Expres­sion­is­mus amerikanis­ch­er Prove­nienz, geprägt; im Osten forderte das Regime zeitweise einen sozial­is­tis­chen Real­is­mus ein, der mit konkreten Bildern aus der Arbeitswelt helfen sollte, ein neues kom­mu­nis­tis­ches Welt­bild aufzubauen. Sie haben mir mit­geteilt, dass Sie mit einem Ihrer näch­sten Ausstel­lung­spro­jek­te auf verbindende Ele­mente zwis­chen Ost und West aufmerk­sam machen wollen.
In langjähri­gen Ver­gle­ichen habe ich her­aus­ge­fun­den, dass es zwis­chen der Bun­desre­pub­lik und der DDR in der Kun­st verbindende Ele­mente gab. Im Grunde lassen sich bei der entsprechen­den Auswahl Bilder, die in der Bun­desre­pub­lik und der DDR ent­standen sind, nebeneinan­der hän­gen, und der Betra­chter ver­mag stilis­tisch keinen Unter­schied zu erken­nen. In bei­den Teilen Deutsch­lands gab es das verbindende Ele­ment ein­er expres­siv­en Gegen­ständlichkeit, das sich mutatis mutan­dis durch das ganze 20. Jahrhun­dert hin­durchge­zo­gen hat. Expres­siv­ität als Gestal­tungsmit­tel ist ein verbinden­des Ele­ment, das sich in gewis­sem Sinne als «überse­hene Ein­heit» aus­machen lässt.

Die Schweiz ist im Falle von Willibald Krain ein gutes Vor­bild (Ver­trieb der Mappe). Vor dem und während des Zweit­en Weltkriegs machte sie sich jedoch einen Namen als Verkäuferin von «entarteter» Kun­st. Erst kür­zlich ist diese Zeit wieder in das Zen­trum der Aufmerk­samkeit gerückt durch die Schenkung der Samm­lung Gurlitt an das Kun­st­mu­se­um Bern. Was fällt Ihnen auf in der Guritt-Diskus­sion.
Am meis­ten sticht mir ins Auge, dass es im Umgang mit den unseli­gen Fol­gen der Beschlagnah­men und Veräußerun­gen von Nazi-Raubkun­st in erster Lin­ie und lei­der fast auss­chließlich um Geld geht. Für mich per­sön­lich ist dies auch der wunde Punkt bei allen Resti­tu­tio­nen. Im Fall Gurlitt wurde zunächst die Sen­sa­tion­s­meldung in die Welt geset­zt, dass es sich um eine Mil­liar­den-Samm­lung han­dle. Als dann bekan­nt wurde, dass sich im Bere­ich der Kun­st des 20. Jahrhun­derts außer klin­gen­den Namen auch viele Werke von weniger bekan­nten, aber auch ver­femten Kun­stschaf­fend­en einen nicht unbeachtlichen Teil sein­er Hin­ter­lassen­schaft aus­macht­en, wurde der «Wert» mehrmals her­abgestuft. Obwohl die Qual­ität divers­er Werke weniger bekan­nter Kün­stler bei genauem Hin­se­hen mit solchen etwa von Beck­mann, Dix oder Hofer nicht nach­ste­ht, wird die Mess­lat­te im Grunde nur im Hin­blick auf die Mark­t­preise angelegt. Die Qual­ität der «no name art» erfährt allen­falls mal eine ver­wun­derte Erwäh­nung. Dass Kun­st ein Kul­turgut ist, das nicht nur unter dem Gesicht­spunkt eines Geldäquiv­a­lents Bedeu­tung hat, ist heute, von Aus­nah­men abge­se­hen, lei­der kaum von Inter­esse. Für Samm­ler wie mich brachte es immer­hin den Vorteil, oft gün­stig an Objek­te zu kom­men, die vom gängi­gen Markt unter­schätzt wur­den.

Dank Ihres Engage­ments und vor allem auch durch Ihre jahrzehn­te­lange Forschungsar­beit kön­nen viele Biografien dieser Kun­stschaf­fend­en mit zugle­ich zahlre­ichen Bild­beispie­len in vier von Ihnen her­aus­gegebe­nen Grund­la­gen­werken nachge­le­sen und angeschaut wer­den. 1999 erschien «Ver­femt – Vergessen – Wieder­ent­deckt», 2001 «Expres­sive Gegen­ständlichkeit. Schick­sale fig­u­ra­tiv­er Malerei und Graphik im 20. Jahrhun­dert», 2008 «Ent­deck­te Mod­erne» und als let­zte Pub­lika­tion 2016 «Entartete Kun­st  – Ver­fol­gung der Mod­erne im NS-Staat». Was sind Ihre Pläne für die Zukun­ft?
Der von mir vor mehr als 30 Jahren eingeschla­gene Weg muss weit­er gegan­gen wer­den, d. h. ich werde meine Arbeit wie gewohnt auf die Ver­w­er­fun­gen in der deutschen Kun­st­geschichte des 20. Jahrhun­derts aus­richt­en und die Samm­lung in diese Rich­tung arrondieren. Die Pub­lika­tion «Das 20. Jahrhun­dert im Kün­stler­bild. Deutsche Geschichte und Gesellschaft vom Ersten Weltkrieg bis zur Wiedervere­ini­gung» soll möglichst in diesem Jahr fer­tig gestellt wer­den, und eine Ausstel­lung anlässlich des 30. Jahrestags der Wiedervere­ini­gung am 3. Okto­ber 2020 ist mit dem Sach­sen-Anhal­tinis­chen Lan­desmu­se­um «Moritzburg» in Halle an der Saale vere­in­bart. Darüber hin­aus bin ich als Vor­sitzen­der der von mir bere­its 2003 gegrün­de­ten «Gesellschaft zur Förderung ver­femter Kun­st» und als Vor­standsmit­glied (und zugle­ich Ehren­vor­sitzen­der) der «Bürg­er­s­tiftung für ver­fol­gte Kün­ste» hin­re­ichend beschäftigt.

Alle Objek­te, die zu dieser Geschichte passen:

Kirche im Gebirge

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Her­bert Anger, 1922

«Beim Vorlesen»

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Erich Heck­el, 1914

«Leuchtturm mit rotierenden Strahlen»

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Paul Adolf See­haus, um 1913

Leuchtturm und Schiffe

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Paul Adolf See­haus, um 1916

Eisenbahnkurve

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