4. April 2019

Otto Meyer-Amden: Ein rätselhafter Künstler mit mystischem Werk

An einem schö­nen Son­ntagabend im Win­ter, am 15. Jan­u­ar 1933, erre­icht die unheil­bare Krankheit ihren Höhep­unkt: Otto Mey­er-Amden ver­langt an diesem Tag seinen Fre­und und Arzt, Max Carl Her­zog, an sein Ster­be­bett und bit­tet ihn um eine let­zte ärztliche Hil­festel­lung. Am sel­ben Abend erliegt er mit jun­gen 47 Jahren kampf­los sein­er Krankheit. Sei­ther ist es still gewor­den um Otto Mey­er-Amden. Bis heute ist sein Werk Weni­gen bekan­nt und sein Leben und Schaf­fen kaum erforscht. Dabei ist Mey­er-Amden eine äusserst eigen­ständi­ge Aus­nah­meer­schei­n­ung in der Schweiz­er Kunst­welt des 20. Jahrhun­derts, die uns bekan­nte Kün­stler und deren Arbeit­en mass­ge­blich bee­in­flusst hat. 10 Dinge, die man über sein Leben und sein Werk wis­sen muss.

Das Blau der Waisen­haus-Uni­form

1885 wird Otto Mey­er-Amden als jüng­stes von sechs Kindern geboren. Seine Mut­ter ver­stirbt früh, worauf er mit drei Jahren als Halb­waise von Pflegeel­tern aufge­zo­gen wird, bis er von 1893–1900 in die Ver­ant­wor­tung des Burg­er­lichen Waisen­haus­es in Bern übergeben wird. Die Erleb­nisse und Ein­drücke aus dieser Zeit wer­den den gebür­ti­gen Bern­er und sein späteres kün­st­lerisches Werk nach­halti­gen prä­gen und viele sein­er Motive beherrschen. Die dominierende Farbe blaue, welche sich oft in seinen Werken wiederfind­et (z. Bsp. in «Schulk­lasse» oder «Vor­bere­itung»), ist beispiel­sweise von den Schu­lu­ni­for­men entlehnt.

Weg­be­gleit­er des Bauhaus­es

Nach der Kun­st­gewerbeschule in Zürich besucht Otto Mey­er-Amden die Kun­stakademie in München und trifft nach ein­er aus­giebi­gen Reise nach Paris im Herb­st 1907 in Stuttgart ein, wo er in die Malk­lasse an der Akademie aufgenom­men wird. Dort macht er neben Willi Baumeis­ter (1889–1955) auch Bekan­ntschaft mit Oskar Schlem­mer (1888–1943), mit welchem ihn eine bis zum Tode andauernde Brief­fre­und­schaft verbindet.  Die Inhalte dieser Briefe gewähren bedeu­tende Ein­blicke in die Entste­hungszeit des Bauhaus­es und wer­den bis heute von Forschen­den rege benutzt. Obschon der Name Otto Mey­er-Amden in diesem Zusam­men­hang kaum Erwäh­nung find­et, wird seine Wirkung aus den Tage­buch­blät­tern Schlem­mers und dem gemein­samen Briefwech­sel nachvol­lziehbar. – Unter anderem geht das von Oskar Schlem­mer entwick­elte Bauhaus-Signet ursprünglich auf eine Bil­didee Mey­er-Amdens zurück, was – dies wis­send – beim Betra­cht­en ein­er sein­er bekan­nten Knaben-Akt-Bilder sehr schlüs­sig erscheint.

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Das zen­trale Motiv der Knabenak­te

1924 würdi­gen das Kun­sthaus Zürich und die Kun­sthalle Basel Mey­er-Amdens Werk mit den bei­den grössten Ausstel­lun­gen, die der Kün­stler zu Lebzeit­en erfährt. Die Ausstel­lun­gen zeigen auch einige für sein Werk zen­trale Darstel­lun­gen von ent­blössten Knaben, die ras­ant zu ein­er Dif­famierungskam­pagne führen. Bekan­nte Pub­likum­sreak­tio­nen wie diese, zeigen, dass inner­halb des all­ge­mein eher mys­tis­chen Werks des Kün­stlers beson­ders die Knabenak­te Fra­gen aufw­er­fen. Betra­chtet man die Darstel­lun­gen der Jünglinge jedoch in einem ganzheitlichen Kon­text, wird klar, dass sich Mey­er-Amden in eine lange Tra­di­tion ein­rei­ht: Der männliche Kör­p­er ist ein seit der Antike essen­zielles und ein über Jahrhun­derte hin­weg sym­bol­isch reich aufge­ladenes Motiv. Zweifels­frei ist für Mey­er-Amden das The­ma des Jünglings eine Obses­sion, welche sich durch sein kün­st­lerisches Lebenswerk durchzieht. «Eine Obses­sion – und das ist zen­tral–, die nicht anders zu bew­erten ist als Edgar Degas’ Fasz­i­na­tion für Tänz­erin­nen und Pros­ti­tu­ierte oder Pablo Picas­sos unbändi­ge Begeis­terung für den weib­lichen – und let­ztlich eige­nen – Kör­p­er.» (zit. nach Michael Stet­tler, «Otto Mey­er-Amden», Zürich Buch­club Ex Lib­ris und Edi­tion Ren­con­tre, 1970). Aus einem der unzäh­li­gen erhal­te­nen Briefe Mey­er-Amdens an seinen Fre­und Her­mann Huber geht die ein­deutige Hal­tung des Kün­stlers gegenüber seinen eige­nen Knabenak­ten und gegenüber dem Motiv des Jünglings klar her­vor. So erk­lärt er: «[…] Auch wün­sche ich jedem einzel­nen Kün­stler und jed­er Epoche, dass sie das ganz natür­liche The­ma des Jünglings nicht negieren, denn es ist eine der besten Wurzeln».

Der Jüngling als Mod­ell und aus der Fan­tasie

Die typ­is­chen Zeich­nun­gen der Knaben und Jünglinge sind Einzelfig­uren, welche sich unter­schei­den lassen zwis­chen Stu­di­en nach einem Mod­ell und Fig­uren, welche der Kün­stler aus sein­er Fan­tasie her­aus geze­ich­net hat, wie das hier ange­botene Werk. Der Ver­gle­ich – ins­beson­dere der Gesichtspar­tien – macht dies deut­lich, sind doch die nach Mod­ell geze­ich­neten Gesichter spür­bar konkreter und fol­glich real­er, woge­gen die Fan­tasieze­ich­nun­gen fremd und abstrakt aber auch inhalt­sre­ich­er und rät­sel­hafter wirken.

Ein­fluss Mon­dri­an

Der Kun­sthis­torik­er Andreas Meier weist auf die Par­al­le­len zwis­chen Otto Mey­er-Amden und dem nieder­ländis­chen Kon­struk­tivsten Piet Mondi­ran hin: «Otto Mey­ers kün­st­lerische Vision ist anfänglich stark ver­bun­den mit dem noch im Sym­bol­is­mus wurzel­nden Gedanken ein­er religiösen Erneuerung durch die Kun­st. Seine Suche nach einem neuen Men­schen­bild stand im Span­nungs­feld zwis­chen Nat­u­ral­is­mus und unge­gen­ständlich­er Malerei, zwis­chen Wil­helm Leibl und Piet Mon­dri­an, die für ihn während Jahren leit­bild­hafte Bezugspunk­te gewe­sen sind. Ohne «Ausserop­tis­ches», das heisst ohne die Absicht ein­er starken Idee, meinte Otto Mey­er-Amden, sei es nicht möglich, zur «Bild­form» zu gelan­gen, die dem «Kos­mos und dem Viereck» gerecht werde.» Das «Viereck» bezieht sich vor allem auf den kom­pos­i­torischen Aspekt, welch­er auch bei Mon­dri­an auszu­machen ist. Seine anfänglich kubis­tisch anmu­ten­den «Land­schaften» reduziert Mon­dri­an auf hor­i­zon­tale und ver­tikale Lin­ien, welche mit Primär­far­ben aus­ge­malt sind. Dadurch soll ein Gle­ichgewicht geschaf­fen wer­den, die Tiefen­wirkung ver­schwinden, und schliesslich die «reine Real­ität» bleiben. Genau dieser math­e­ma­tis­che und ästhetisch klare «Raumkanon» im Bild­viereck, strebte Mey­er-Amden eben­falls an, jedoch stets gegen­ständlich.

Bewun­dert von Kirch­n­er, Schlem­mer und Thomkins

Nach dem Tod von Otto Mey­er-Amden im Jahr 1933 drück­en zahlre­iche inter­na­tion­al bekan­nte Kun­stschaf­fende ihr Beileid aus und kom­men­tierten das Werk des Kün­stlers. Ernst Lud­wig Kirch­n­er schreibt beispiel­sweise: «Die grosse Liebe zu den Din­gen und zur Kun­st spricht aus jedem Strich». Oskar Schlem­mer wiederum äussert sich zur kün­st­lerischen Hal­tung Otto Mey­er-Amdens: «Er wies mit Ein­dringlichkeit darauf hin, wie vieles heute aus Übereinkun­ft geschähe, ohne sich immer der ursprünglichen Gründe bewusst zu sein, die ehe­dem Antrieb zur kün­st­lerischen Betä­ti­gung bilde­ten.» Otto Mey­ers Ein­fluss ist – über Gen­er­a­tio­nen hin­weg – auch bei zeit­genös­sis­chen Kun­stschaf­fend­en erkennbar, unter anderen bei André Thomkins, Rolf Win­newiss­er und Hein­er Kiel­holz.

Teil­nahme an grossen Ausstel­lun­gen

Das Schaf­fen des Kün­stlers wird unter anderem in der «Exhi­bi­tion of 20th Cen­tu­ry Ger­man Art» in Lon­don (1938), auf der Doc­u­men­ta in Kas­sel (1955/1964) oder 1985 in der Ausstel­lung «100 Jahre Kun­st in Deutsch­land» in Ingel­heim gezeigt. Ins­beson­dere die Lon­don­er Ausstel­lung im Jahr 1938 ist dabei von gross­er Bedeu­tung: Die Schau stellt eine Antwort auf die pro­gram­ma­tis­che Aktion der NS-Kul­tur­poli­tik dar, welche im Juli 1937 die Pro­pa­gan­da-Ausstel­lung «Entartete Kun­st» München eröffnet. Mit der Ausstel­lung «20th Cen­tu­ry Ger­man Art» soll dem Feldzug gegen die Mod­erne durch das Nazi-Regime ein Kon­tra­punkt geset­zt wer­den – und Arbeit­en von Otto Mey­er-Amden gehören zu den 300 gezeigten Meis­ter­w­erken der mod­er­nen deutschen Kun­st!

Das Bergdorf Amden als Lebens­mit­telpunkt

1902 grün­det der Öster­re­ich­er Josua Klein im St. Galler Bergdorf Amden die Kolonie «Grap­pen­hof» als Spielplatz exper­i­menteller Lebens­for­men und religiös­er Visio­nen. Dem Visionär fol­gen zahlre­iche Kün­stler, so unter anderem im Jahr 1903 Hugo Höpp­n­er («Fidus»), welch­er als eine Ikone der Jugend­be­we­gung gilt und sich ein­er veg­e­tarischen Lebensweise ver­schreibt. Obwohl Klein – als Betrüger ver­schmäht – Amden nach eini­gen Jahren wieder ver­lässt, erwacht wenige Jahre später eine neue Kün­stlerkolonie im Bergdorf. Der Maler Her­mann Huber kommt 1911 in nach Amden und holt 1912 Otto Mey­er auf den Berg. Weit­ere Maler wie Albert Pfis­ter, Willi Baumeis­ter, Oskar Schlem­mer und Johannes Iten besuchen Amden. Otto Mey­er-Amden – er gibt sich den Namen­szusatz «-Amden»  selb­st als Zeichen sein­er Ver­bun­den­heit mit dem Dorf – weile bis 1928 in Amden und schafft hier seine Hauptwerke.

Hauptwerk die «Vor­bere­itung»

Zwis­chen 1920 und 1930 arbeit­et Otto Mey­er-Amden an einem sein­er bedeu­tend­sten Werkzyklen, der «Vor­bere­itung». In diesen Kom­po­si­tio­nen set­zt sich der Kün­stler mit seinen Erin­nerun­gen an die täglichen Mor­ge­nan­dacht­en im Waisen­haus von Bern auseinan­der. Die visuelle Entwick­lung der Kom­po­si­tion lässt die Werk­ge­nese beson­ders ein­drück­liche nachvol­lziehen: Die sich in Pri­vatbe­sitz befind­lichen Fas­sun­gen aus den frühen 1920er-Jahren doku­men­tieren ins­beson­dere die Stim­mung von Kindern vor dem Essen und vor dem Gebet – ein­er Stim­mung zwis­chen Ner­vosität und Ruhe, Andacht und Aufre­gung, einem Moment von stark­er Inten­sität und Span­nung. Spätere Darstel­lun­gen des gle­ichen Sujets bestechen aus for­maler Sicht, dazu gehört die hier zum Verkauf ange­botene Skizze: Der Kün­stler set­zt sich mit der Reduzierung und geometrischen Grund­mustern auseinan­der, wobei der Flächen­be­griff Piet Mon­dri­ans sicher­lich einen Ein­fluss ausübt. Die math­e­ma­tisch-regelmäs­sige Platzierung der Knaben deutet Mey­er-Amden – beson­ders ein­drück­lich zu erken­nen in der hier ange­bote­nen Farb­s­tiftze­ich­nung – mit blauen, kreis­run­den Flächen an und die stark reduziert dargestell­ten Büch­er sind als gelbe Flächen rhyth­misierend über das ganze Blatt verteilt. Diese Schaf­fensweise verdeut­licht die Wichtigkeit des Kün­stlers als Pio­nier im mod­er­nen Schweiz­er Kun­stschaf­fen. Eine eben­falls stark vere­in­fachte, der Zeich­nung fol­gende Fas­sung, ist im Kun­sthaus Aarau auf­be­wahrt (Aar­gauer Kun­sthaus, Aarau, D366). Oskar Schlem­mer schreibt zu den späten «Vorbereitungs»-Werken : «Den äusseren Rah­men bildet der Ess­saal des Bern­er Waisen­haus­es. Wie im Kon­vent sitzen die Knaben in wun­der­bar­er Vere­in­fachung der Kör­p­er und Köpfe um das Oval der Tis­chrei­hen, in den Hän­den die zu gel­ben Strichen reduzierten Büch­er.»

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Studie «Vorbereitung»

Studie «Vorbereitung»

Otto Mey­er-Amden, um 1928–1932

Fre­und­schaftlich­er Briefwech­sel von wis­senschaftlich­er Bedeu­tung

1904 ler­nen sich Otto Mey­er-Amden und Her­mann Huber (1888–1967) an der Kun­st­gewerbeschule in Zürich ken­nen. Mit Huber pflegte Mey­er-Amden in den darauf­fol­gen­den zwei Jahrzehnte eine inten­sive Brief­fre­und­schaft. 1980 über­lässt die Fam­i­lie Her­mann Hubers dem SIK-ISEA eine über 360 Briefe umfassende Samm­lung – darunter über 300 von Mey­er Amden ver­fasste Briefe an Huber. Die aus dieser Brief­fre­und­schaft her­vorge­gan­genen Schrift­stücke sind aus kun­sthis­torisch­er Sicht ein ein­ma­liger Glücks­fall: Der Briefwech­sel doku­men­tiert nicht nur die Lebens­be­din­gun­gen der bei­den Kun­stschaf­fend­en und ihres Umfelds, son­dern gibt auch beson­dere Ein­blicke in den zu dieser Zeit stat­tfind­en­den Aus­tausch über philosophis­che und ästhetis­che The­men, sowie über grundle­gende Gestal­tung­sprinzip­i­en die Mey­er-Amden seit Stu­di­en­t­a­gen im Aus­tausch mit Oskar Schlem­mer entwick­elt und mit Huber weit­er­führt.